Vita

Welches sind die entscheidenden Momente im Leben, in denen dann alles eine andere Richtung nimmt? Oft sind das nur Millimeter, die im Moment den Kurswechsel ausmachen, aber auf lange Sicht, oder dann im Rückblick war diese Sekunde, diese kleine Erfahrung, dieses mulmige Gefühl oder das sich selbst erstaunende Erlebnis die Geburtssekunde von dem was man heute, das andere Leben nennen kann.

Ich hatte so einen Moment, als ich mit 17 Jahren bei Karstadt in der Rundfunkabteilung 1968 eine Lehre machte. Draussen tobte Rudi Dutschke und der Bär, und ich stand unter Neonröhren und sortierte Bananenstecker ins Regal. Der Tag begann früh, und endete spät, sodass ich mehr als die Hälfte des Jahres bei Dunkelheit den neondurchfluteten Kasten betrat und auch bei Dunkelheit wieder verliess. Es war allen Mitarbeitern verboten, durch die normalen Ausgänge den Laden zu verlassen, der Weg durch den Keller und an der Stempeluhr vorbei war zu lang, so endete man meistens in der Kantine für einen Kaffee oder einer Zigarette. Also fast immer nur künstliches Licht um mich herum, aber auf Grund nicht vorhandener Alternativen, nahm ich das als gegeben, und als Rahmenbedingung fürs erwachsen werden so hin.

Doch eines Tages musste ich ganz dringend unseren Abteilungsleiter suchen, von dem alle Welt wusste, dass er in einer Kneipe um die Ecke sich sein Kölsch süffelte. Der unsichtbare Bann, das Haus durch den normalen Ausgang zu verlassen, war aufgehoben und ich raste in wahrsten Sinne des Wortes durch die Schleuse in die sonnendurchflutete Freiheit, rannte in die Kneipe, sprach atemlos meine Formel zum Chef, der darauf hin genauso atemlos den selben Weg rückwärts nahm, und mich dort mutterseelenallein stehen liess: „Jung, jetz trinkste dich äts enns ä Kölsch und dann jehste janz ruhisch zoorük“, sprach der lebensweise und schnauztragende Wirt.

Die nächsten 10 Minuten waren Freiheit pur, das Bier öffnet alle verklebten Bahnen im Körper, ich sprach ein paar Worte mit dem Wirt und wurde so selbstverständlich als gleichberechtigtes Mitglied dieser geheimen Logenbruderschaft akzeptiert. Alle Fenster nach draussen waren geöffnet und meine Augen strahlten mit dem Sonnenschein um die Wette und tief drinnen formten Gedanken und Gefühle den schwer im Bauch liegenden Brei des Unwissens, des Nichts-Verstehens, des Nicht-Geliebtwerdens zu einem Satz, der wie von selbst über meine Lippen gekrochen kam, als ich dann wieder nach 15 Minuten das neonbeleuchtete Haus betrat: „Das hier machst du nicht dein ganzes Leben lang.“
Dann forderten wieder Bananenstecker, Rudi Dutschke und die Bundeswehr meinen geformten Satz, auf den ich ja Copyright hatte, heraus.

Dasselbe galt dann für mein BWL Studium, obwohl der Dipl.-Betriebswirt sich gut auf einer Visitenkarte macht. Mein anschliessendes Lehrerstudium mit den Fächern Sport und ev. Religion und die 4 Jahre als Beamtenlehrer liessen mich den Satz vorübergehend, wegen der guten Rentengarantie vergessen, aber dann so slowly slowly, züngelten wieder alte tief geformte Sätze an der Lunte. Ich fuhr nach Pune, liess mir herzensfroh den Namen Paritosh Udo andrehen, kam wieder zurück und gründete ein Skireiseunternehmen, aber auch da machten sich nach 12 Jahren alte Gewohnheiten wieder bemerkbar.

Jetzt lebe ich mit meiner Liebsten Chetana auf Mallorca, mache mit Freunden Musik, arbeite als Hausmann und Golfcoach, versorge Esel, Hunde und Katzen und habe mich zwischendurch zum SE Traumatherapeuten und Coach ausbilden lassen. In Mallorca lernte ich Djamel Laroussi kennen, der als Produzent und World-Musiker aus Algerien bekannt ist. Ihm spielte ich meine Songs vor. OK, meinte er, da machen wir was draus, aber nur wenn du mir versprichst, dass du so was nicht dein ganzes Leben machen willst.

Während unserer letzten Ferien sagte dann Chetana zu mir: Schau mal die schönen Kois, kannst du nicht mal ein Foto machen? …

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